Telefon riss ihn aus der Konzentration. Mist, der Auftrag musste bis zum nächsten Tag erledigt sein. Er griff zum Hörer. „DigiMedia, mein Name ist Manfred Klausen. Was kann ich für Sie tun?“
„Manfred, ich wollte mich von dir verabschieden.“ Es war Patrizia.
„Fährst du weg?“
„Nein, ich wollte leb wohl sagen. Grüß auch die anderen von mir. Seid mir bitte nicht böse, ich finde keine andere Lösung.“ Sie schluckte.


„Patrizia, was bedeutet das?“
„Ich habe gerade Tabletten genommen. Ich habe auch einen Abschiedsbrief geschrieben… aber ich möchte noch heute gefunden werden. Im Brief habe ich alles erklärt.“
„Patrizia, du bist ja verrückt!“ Panische Angst um die Frau, die er liebte, durchfuhr ihn. „Wo bist du? Zu Hause? Bleib wo du bist! Ich rufe die Polizei… nein, den Krankenwagen… ich komme selbst vorbei.“
„Nein, Manfred, bitte nicht…“ Mit einem lauten Klick beendete sie das Gespräch.
Wo war sie? Zu Hause? Manfred war das Knacken von Patrizias schnurlosem Telefon aufgefallen. Sie war also zu Hause.
Er wählte die Feuerwehr. „Klausen, guten Tag. Ich habe gerade eine Selbstmordankündigung per Telefon erhalten. Frau Patrizia Hinze. Aus Neuss.“
„Wenden sie sich dann bitte an die Polizei. Wir können da nichts machen.“
Also die Polizei. Er sagte seinen Spruch auf und ergänzte „Die Feuerwehr hat mich auf sie verwiesen.“
„Da müssen sie direkt die Kollegen in Neuss anrufen.“
„Wie bitte?“
„Wenn sie uns die Meldung machen können wir nichteinmal überprüfen, ob die Straße richtig ist oder es den Straßennamen vielleicht zweimal gibt. Die Kollegen aus Neuss müssen dann nachfragen… Warten sie, ich gebe ihnen die Nummer der Einsatzleitstelle in Neuss.“
Klausen legte auf und wählte zum dritten Mal.
„Polizei Neuss, Einsatzleitstelle, Obermeister Schulze.“
Wieder spulte er seinen Text ab und ergänzte: „Ich bin selbst in Düsseldorf, aber ihre Kollegen hier gaben mir diese Telefonnummer“.
„Geben Sie mir bitte ihre Rufnummer und ihren Namen.“ Klausen tat, wie ihm geheißen. „Nun erzählen sie mir bitte von der Drohung.“
Manfred schilderte den Anruf. „Wie stehen sie zu dieser Dame?“
„Bitte?“
„Sind sie ihr Ehemann?“
„Kollege und Freund. Enger Freund.“ Liebhaber, dachte er.
„Bleiben sie bitte telefonisch erreichbar. Wir werden einen Wagen zur Wohnung schicken.“
„Einverstanden.“ Er wurde unruhig. Eigentlich wollte er selbst hinfahren, aber das ging nicht mehr. Er musste ja jeden Moment mit einem Rückruf rechnen. Die Minuten zogen sich endlos. Nach einer Viertelstunde, insgesamt 25 Minuten nach Patrizias Anruf, klingelte das Telefon erneut.
„Polizei Neuss, Schulze. Herr Klausen, ich verbinde sie per Funk mit dem Einsatzwagen.“ Es knackte und rauschte.
„Krrrk – Neptun 2315, können sie mich hören – Krrrk“
„Ja, Klausen hier. Sind sie an der Wohnung?“
„Krrrk – Ja. Hier ist alles dunkel. Nichts ungewöhnliches.“ Der Polizist wiederholte die Adresse und beschrieb das Haus. „Krrrk“.
„Ja, das ist es. Erdgeschoss rechts ist die Wohnung. Sie hat aber noch ein Atelier im Nebenhaus, Dachgeschoss. Sie können es sehen, wenn sie zur Straßenecke gehen.“
„Krrrk – Moment bitte – Krrrk“
Nach endlosen Sekunden hörte er Nein, da ist auch kein Licht.“
„Dann klingeln sie bei Hinze, vielleicht macht sie auf.“ Nein, bestimmt nicht. Sie meinte es ernst.
„Tut mir leid, ohne handfeste Beweise, dass ein Suizid vorliegt, können wir nicht mehr tun. Und um drei Uhr nachts klingeln wir nicht an Wohnungstüren, wo kein Licht zu sehen ist.“
Wenn sie wirklich Tabletten genommen hatte, war Patrizia verloren.

Er wachte schweißgebadet auf. Das Bett war zerwühlt. Er stand auf und wankte ins Bad. Sank auf der Toilette nieder und brach in Tränen aus.
Gott sei Dank war es nur ein Traum. Patrizia ging es vermutlich gerade besser als ihm. Als die Spannung sich gelöst hatte trocknete er sich notdürftig ab, wusch sein Gesicht mit warmem Wasser und kehrte ins Bett zurück.
Yvette wurde davon wach. „Was ist denn?“
„Ich musste auf die Toilette.“ Antwortete er.
Als der Wecker klingelte war Manfred wie gerädert. Nach dem Albtraum konnte er nicht mehr einschlafen. Er hatte sich die letzten drei Stunden nur noch im Bett herumgewälzt.
Als er aufstand um ins Büro zu fahren schlief Yvette noch.

In der Agentur war die Hölle los. Multimedia war das Schlagwort des Jahres. Alle Kunden wollten es und keiner wusste genau, was er damit meinte. Und alles sollte schon gestern fertig und noch nie da gewesen sein.
Manfred zweifelte daran den richtigen Beruf zu haben. Seine Kunden waren zufrieden mit ihm, sicherlich. Aber es war für Manfred unbefriedigend. Bis Patrizia in die Agentur kam. Die Grafikerin machte gelegentlich hervorragende Auftragsarbeiten, stand aber allem skeptisch gegenüber und hinterfragte es.
Manfred bewunderte sie dafür. Sich selbst regelmäßig zu hinterfragen. Das war ihm in der Hektik der Agentur verloren gegangen.
Gegen elf rief er Patrizia an.
„Morgen, du Murmeltier. Hab ich dich geweckt?“
„Manfred! Nein, hast du nicht. Ich habe gerade gefrühstückt. Das Wetter ist so schön, ich möchte am liebsten mit Dir in einem Biergarten sitzen. Aber ich hab noch einen Auftrag zu erledigen.“
„Ich wollte auch nur deine Stimme hören und wissen, wie es dir geht.“
„Ich kann dir ja was auf den Anrufbeantworter sprechen, dann kannst du meine Stimme hören, wann du willst.“
Manfred lachte. „Mach das. Und jetzt schnell an die Arbeit, sonst bin ich Schuld, wenn du nicht fertig wirst.“
„Du bist süß!“ antwortete Patrizia.
Manfred atmete auf. Es war wirklich nur ein Traum. Er machte ein paar Konzeptentwürfe für eine Internetpräsenz, die sich ein Wursthersteller wünschte. Manfred hatte schon ein Computerspiel mit einer Wurst als Held entworfen – obwohl er Vegetarier war und das Konzept ekelhaft fand.
Yvette waren Manfreds Veränderungen nicht entgangen. Er grübelte über sich und seine beiden Frauen. Wobei er mit Patrizia kein intimes Verhältnis hatte, sondern nur eine beiderseits sehr enge Freundschaft, die Manfred aber gerne ausbauen würde. Wenn er nicht verheiratet wäre. Er liebte Yvette und Patrizia. So etwas hatte er nie für möglich gehalten.

Nach dem Abendessen mit Yvette nahm Manfred sich ein Buch und legte sich, müde wie er war, ins Bett. Heute fehlte ihm jedoch die Konzentration. Nach zwei Seiten legte er die Lektüre zurück auf den Nachttisch und schlief ein. Er merkte nicht, als Yvette nachkam.

Das Telefon riss ihn aus der Konzentration. Missmutig meldete er sich.
„Agentur DigiMedia, mein Name ist Manfred Klausen.“
„Manfred, ich wollte mich von dir verabschieden.“ Ein Deja Vu.
„Fährst du in den Urlaub?“ Ein Rumoren ging durch seinen Bauch, als ob da ein Bulldozer das Mittagessen verarbeitete.
„Nein, ich wollte leb wohl sagen. Seid mir bitte nicht böse, es geht nicht anders. Ich finde keine andere Lösung.“ Sie schluckte.
Klausen wusste was sie meinte. „Patrizia, du bist verrückt! Bleib wo du bist!“
„Nein, Manfred, bitte nicht…“
Er wählte den Notruf der Feuerwehr. „Wenden sie sich bitte direkt an die Polizei…“ – er wusste das eigentlich schon, als er die Nummer zu ende gewählt hatte
Er rief die Polizei an. Sagte seinen Spruch und ergänzte „Es ist wohl besser, wenn ich direkt die Leitstelle in Neuss anrufe, was?“
„Stimmt.“ Der verdutzte Polizist gab Manfred die Nummer.
Klausen wählte zum dritten Mal.
„Wie stehen sie zu dieser Dame?“
„Ich bin ihr enger Freund.“
„Bleiben sie bitte telefonisch erreichbar. Wir werden einen Wagen zur Wohnung schicken.“
Er wurde unruhig. Rechnete jeden Moment mit einem Rückruf, konnte nicht selbst hinfahren. Die Minuten zogen sich. 25 Minuten bis zur Verbindung mit dem Einsatzwagen.
„Krrrk – Neptun 2315, können sie mich hören? – Krrrk“
„Sind sie an der Wohnung?“
„Ja. Hier ist alles dunkel.“
„Sie hat aber noch ein Atelier im Nebenhaus.“
„Nein, da ist auch kein Licht.“
„Dann klingeln sie bei iht, vielleicht macht sie auf.“
„Tut mir leid, Herr Klausen. Ohne handfeste Beweise klingeln wir um drei Uhr nachts nicht an Wohnungstüren.“
Drei Uhr nachts? Er stutzte. Es konnte erst später Nachmittag sein. Sein Büro war taghell, aber die Fenster dunkel. Er sprang auf, fand seine Jacke mit den Autoschlüsseln nicht.
Wo war die Jacke? Er musste zu Patrizia fahren. Manfred erinnerte sich, die Jacke zuletzt mittags im Pfannkuchenhaus ausgezogen zu haben – und da hatte er sie dann vergessen. Nachts um drei hatte das Pfannkuchenhaus geschlossen.
Ohne Jacke rannte er aus dem Gebäude, zum nächsten Taxistand – kein Wagen zu sehen. Er klapperte die Taxistände ab, einen nach dem andern. Inzwischen war über eine Stunde seit Patrizias Anruf vergangen.
Sie war verloren.

Wieder erwachte er schweißgebadet und flüchtete ins Bad, um zur Ruhe zu kommen. Warum dieser Traum? Gewissensbisse? Sein Gewissen. Oscar Wilde hat mal geschrieben, dass gute Manieren den Nachteil hätten, einen von so manchem auszuschließen. Ein Gewissen zu haben macht das Leben auch nicht leichter.
Diesmal merkte Yvette nicht, als er wieder ins Bett kam. Am nächsten Morgen sah er zerknittert wie ein aus dem Koffer geholtes Hemd aus. Yvette wollte ihn beim Frühstück, das sie diesmal gemeinsam einnahmen, aufmuntern. Er konnte ob seiner Gewissensbisse keine gute Laune ertragen.
Wieder rief er kurz bei Patrizia an, um sich zu vergewissern, dass der Alptraum nicht doch reale Hintergründe hatte. Hatte er nicht. Patrizia ging es so gut wie immer. Gott sei Dank.
Der Tag war eine Qual. Sein Kaffeekonsum lag weit über seinem beachtlichen Durchschnitt. Mittags hatte er ein Arbeitsessen im Pfannkuchenhaus.
Den Rest des Tages arbeitete er an der ekligen Internetpräsenz der Wurstfabrik, kam erst spät nach Hause, aß mit Yvette ein trübes Abendessen und schlief wie ein Toter.

Das Klingeln des Telefons riss ihn aus der Konzentration.
„DigiMedia, was kann ich für Sie tun?“
„Manfred, ich wollte mich von dir verabschieden.“
„Fährst du in den Urlaub?“ Er konnte das Deja Vu nicht stören. Die Situation hatte ihn im Griff, er konnte noch nicht vom bekannten Ablauf abweichen, so sehr er auch wollte.
„Nein, ich wollte mich verabschieden. Leb wohl.“
„Bleib wo du bist!“
Klausen kannte die Telefonnummer der Einsatzleitstelle in Neuss inzwischen auswendig. „Polizei Neuss, Obermeister Schulze.“
„Ich habe gerade eine Selbstmordankündigung erhalten.“ Er erinnerte sich schon an den Fortgang des Gespräches „Ich bin ihr Kollege und enger Freund.“
„Wir werden einen Wagen zur Wohnung schicken.“
Er wählte Patrizias Nummer, doch niemand ging an den Apparat. Sie hatte ihn abgeschaltet.
Er musste zu Patrizia fahren, er musste sie retten. Manfred erinnerte sich an die verschwundene Jacke und warf auf dem Weg nach draußen einen Blick in die Büros, die er passierte, ob noch motorisierte Kollegen da waren. Selbst den kleinen Motorroller der Empfangsdame hätte er mit Dank angenommen, wäre er damit doch wenigstens vom Fleck gekommen.
In der dunklen Düsseldorfer Altstadt war es leer wie nie, auch die Taxistände. Straßenbahnen fuhren um diese Zeit nicht mehr. Manfred sah auf die Uhr – kurz nach vier! Er rannte zur nächsten Rheinbrücke um auf die andere Seite des Flusses zu gelangen. Vielleicht bekam er dort ein Taxi, in Oberkassel.
Auf der Brücke sah er Polizeiwagen, Blaulicht und viele Menschen. Die Fahrzeuge von Polizei und Feuerwehr kamen gerade dort an. Die Brücke war gesperrt, irgend etwas dort wurde abgeschirmt. Vielleicht ein Amokläufer, Terroristen oder ein Bankräuber. Polizisten verweigerten ihm den Weg auf die andere Rheinseite.
Wieder war Patrizia verloren.

Wieder fand er sich verheult auf der Toilette. Diese Träume müssen doch mal ein Ende finden! Er hatte Angst, Patrizia oder Yvette zu verletzen und wusste, dass er sine verletzen würde.
Manfred schleppte sich wieder einen Tag lang durch die Arbeit. Am Abend war wieder das Fitnesscenter an der Reihe und er kämpfte mit dem Schlaf, als er auf dem Stepper seine Minuten herunterriss.
Manfred traute sich nicht, ins Bett zu gehen. Bis kurz vor elf Uhr abends trank er noch ein paar Tassen Espresso um nicht einzuschlafen. Als er schließlich um Mitternacht zu aufgedreht war, um ins Bett zu gehen, trank er eine halbe Flasche Weißwein.
Er schlief einen schweren, keineswegs erholsamen Schlaf.

Als das Telefon klingelte kam er gerade aus einer Besprechung. Außer Atem und den Filofax noch in der Hand ging er an den Apparat.
„Klausen, DigiMedia, guten Tag!“
„Hallo Manfred, hier ist Patrizia. Ich wollte mich verabschieden.“ Vor Schreck fiel ihm der Filofax aus der Hand.
Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Die Angst, diese Situation noch mal durchmachen zu müssen, Patrizia wieder nicht retten zu können – das Gefühl der Hilflosigkeit… Die vergangenen Nächten spielten sich vor seinem geistigen Auge nochmals in rasendem Tempo ab. Der Schmerz zerriss ihn förmlich.
Er war nicht hilflos! Er hatte eine Chance!
„Patrizia, mach keinen Unsinn. Bleib wo du bist. Ich komme!“ Beim Hinauslaufen ließ er den Hörer fallen.
Die Polizei würde nicht helfen. Wenn er dort nicht anruft, kommt er 20 oder 25 Minuten eher an die Rheinbrücke. Wenn diese dann noch nicht gesperrt ist, kann er auf die andere Seite und findet dort ein Taxi oder irgend etwas, um zu Patrizia zu gelangen. Und wenn er ein Auto knacken muss!
Er rannte los. Durch die Agentur, die Altstadt. Vorbei an den Taxiständen, wo er immer vergeblich nach Taxen gesucht hatte. Er kam an die Rheinbrücke. Viele Autos, jetzt käme er aber noch durch. Er rannte auf die Brücke. Er hatte sich entschlossen, so weit zu rennen, wie es ging. Er rannte auf der Fahrbahn, und als ihn ein Fahrzeug fast überfahren hatte wusste er: Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen. Das ist nur ein Traum. Du bist unverwundbar!
Er rannte schräg Richtung Brückengeländer und schwang sich wie ein Turner darüber.
Er wollte den Rhein schwimmend überqueren.

Im Polizeibericht stand, dass ein offenbar unter Stress stehender Mitarbeiter einer Werbeagentur von der Rheinbrücke aus auf einen Schleppverband gesprungen war. Er hätte den Sturz überleben können, wenn er nicht mit dem Hals auf der Antenne des Kahns gelandet wäre. Seine Handlung sei eindeutig als Suizid anzusehen, auch ohne Abschiedsbrief. Vor dem Sprung sei er einer Reihe von Passanten aufgefallen, weil er verwirrt durch die Altstadt gerannt war. Die Polizei Schloss den Missbrauch von Designerdrogen nicht aus, konnte aber im Blut des Toten keine nachweisen.

Als Patrizia zwei Tage später von der Beerdigung ihres Patenonkels zurückkehrte und erfuhr, dass Manfred sich nach ihrem Anruf das Leben genommen hatte, brach für sie eine Welt zusammen.

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