Lieber Sven Regener,
Du bist nicht viel älter als ich. Wir stammen beide aus einer Zeit, in der das Radio die Musik bestimmte, die wir hörten.
Und es sollte mich sehr wundern, wenn Du damals nicht auch einen Haufen Cassetten mit raubkopierter aufgenommener Musik um Schrank gehabt hättest.
Die Zeiten haben sich geändert, und daran ist nicht nur das Internet Schuld, wie Du im Interview auf BR polterst.
Ich kann Dich verstehen, die derzeitige Situation macht mich genauso wütend, wie Dich, aber sie ist viel komplexer, als Du sie darstellst.
Du hast Recht, dass die Indy-Labels, die früher Musik abseits des Mainstreams ermöglicht haben, in der alten Form nicht mehr so zahlreich existieren.
Das hat verschiedene Gründe, und einer davon ist, dass die großen Labels sehr viel Raum einnehmen und sehr viel Macht haben. Und da sie – wie alle – Angst vor dem Tod und vor Veränderung haben, haben sie einfach die Augen zu gemacht, ihre Lobbyisten in die Parlamente geschickt und die digitale Revolution verschlafen.
Damals, als wir jung waren, gab es Musik auf Vinyl. Wir haben untereinander Platten getauscht und auf Cassette aufgenommen – die Qualität war etwas schlechter, aber noch Ok.
Kopiert haben wir damals alle. Du, ich, die Juristen, die heute für Sony mutmaßliche Tauschbörsennutzer abmahnen. Autoradios mit Cassettenrekorder gibt es schon seit den 1970ern, und wir alle haben uns Platten auf Cassette kopiert, um sie auch im Auto hören zu können.
Kopieren aber war der Musikindustrie schon immer ein Dorn im Auge, sie hätten uns fürs Autoradio am liebsten alle Alben nochmal auf Cassette verkauft. Dafür wurde dann die Kopiertantieme erfunden. Diese Gebühr auf jede Leercassette wurde an die GEMA abgeführt, die Ausschüttung kriegen die Urheber, also Komponisten und Texter wie Du.
1979 kam der Walkman raus und sorgte für noch mehr Cassetten, auf die Platten von ihren Eigentümern für die eigene Nutzung aufgenommen wurden.
Mit der Erfindung der CD hofften die großen Labels, endlich dem Kopieren Einhalt zu gebieten; der Qualitätsunterschied zur Cassette ist wirklich beträchtlich. Aber wir haben immernoch die Alben auf Cassette aufgenommen, um unterwegs Musik hören zu können.
Das endete, als CDs auf jedem PC kostengünstig kopiert werden konnten.
Parallel kam das Internet ins Spiel und brachte ganz neue mediale Möglichkeiten mit sich. Die Labels sahen die neuen Chancen jedoch nicht und versuchten stattdessen, Kopierschutzverfahren für CDs zu erfinden, die teilweise (wie Sonys Root-Kit) meinen PC umkonfigurieren wollen oder nicht mehr garantiert auf allen CD-Playern liefen.
Der firmenunabhängige Standard MP3 existierte seit Mitte der 1990er und stand, wie vorher Vinyl oder die CD, als standardisiertes Format zur Distribution bereit. Daran scheiterte der Aufbruch der großen Labels in die digitale Welt also nicht.
Er scheiterte, weil sie MP3 zum Teufelswerk und Tod der Musikindustrie redete und durch die zwanghaften Versuche, irgendwelche proprietären DRM-Systeme zu erfinden, selbst kein tragfähiges Konzept auf die Kette bekamen.
Denn damit das Konzept tragfähig wird, müssen wir als Konsumenten Investitionssicherheit haben.
Plattenspieler gibt es bis heute zu kaufen und die erste je veröffentlichte CD (The Visitors von ABBA, 1981) kann ich auch im modernsten BlueRay-Player noch abspielen. Ich kaufe den Song auf einer runden Scheibe und meine Erben können ihn noch abspielen, wenn ich längst tot bin.
DRM-Systeme binden die Songs entweder über einen Code an einen bestimmten Player oder verlangen, dass per Internet online vor dem Abspielen geprüft wird, ob ich den Song rechtmäßig erworben habe.
So eine Bindung an einen bestimmten Player ist natürlich Bullshit, wer würde schon für jeden neuen CD-Player alle CDs nochmal neu kaufen?
Genauso unsinnig sind die netzgebundenen DRM-Konzepte, denn sie machen mich als Konsumenten davon abhängig, dass irgendwo im Internet ein Server steht, der meinem Player erlaubt, die Songs abzuspielen.
Und tatsächlich schalteten MSN-Music und Yahoo ihre DRM-Systeme 2008 ab, weil sie sich nicht durchsetzen konnten. Wer dort Musik gekauft hatte, konnte ab der Schließung die legal erworbenen Abspiellizenzen nicht mehr auf neue Abspielgeräte übertragen. Ganz großes Kino, sag ich da nur.
Ich hab – ganz ehrlich – seit der Einführung der ersten Kopierschutzsysteme für CDs kaum noch Musik gekauft. Alte Alben ohne Kopierschutz gerne, aber sobald mir die Labels verbieten wollen, Musik fürs Auto (wo auch längst CDs liefen) zu kopieren, oder analog zum Walkman auf einen MP3-Player zu spielen, ist das für mich genauso Bullshit wie die fehlende Investitionssicherheit bei DRM-geschützter Musik.
Aber die großen Labels sind nunmal Gewinnmaximierungsbetriebe, die sowohl Euch Künstler als auch uns Konsumenten ausschließlich zur Gewinnerzielung nutzen. Erinnerst Du Dich an die Zeit, als Prince komisches Zeichen The Artist formerly known as Prince Prince sich „Slave“ in seinen Dreitagebart rasiert hatte, weil Sony ihn nicht nur nicht aus seinem Vertrag über (ich glaube) 10 Alben herausgelassen hat, sondern ihm auch noch Vorgaben machen wollte, was er abzuliefern hat?
Das gleiche passierte auch George Michael, der über etliche Jahre nur halbgare Remixes ablieferte, weil er vermutlich von den Tantiemen für „Last Christmas“ gut leben kann und sich nicht über Gebühr prostituieren wollte.
Und das steht in den USA Künstlern ins Haus, die sich auf eine 1978 eingeführte Schutzklausel aus den dortigen Gesetzen berufen werden. Danach können Künstler den Labels die Vertriebslizenzen nach 35 Jahren wieder entziehen. Nächstes Jahr gilt das für alle Songs, die in den USA bis 1978 veröffentlicht wurden. Das soll Komponisten und Texter wie Dich schützen. Und die Labels? Argumentieren, dass Ihr Künstler Angestellte der Labels seid („work for hire“) und das Gesetz für Euch gar nicht gilt.
Du hast das Glück, seit über 20 Jahren in einer Indy-Nische recht unbeeinflusst von Konzernwünschen Rock’n’Roll machen zu können. Und heute ist es so, dass gerade junge, noch nicht etablierte Indy-Musiker vom Internet unglaublich profitieren. Und das ist meiner Meinung nach auch der Grund dafür, dass die Indy-Labels in der Form, wie wir sie von früher kennen, nicht mehr allzu zahlreich sind.
MySpace hat nicht nur den Arctic Monkeys eine Plattform gegeben, völlig ohne Label wahrgenommen zu werden und einen Plattenvertrag zu bekommen.
Auch Youtube ist gerade für die Indy-Szene ein wichtiger Kanal. Such dort mal zum Beispiel nach Chris Cendana oder DubFX – ich hab beide über verlinkte Youtube-Videos entdeckt und inzwischen auf den jeweiligen Vertriebsportalen auch Alben gekauft (als MP3 natürlich). Oder glaubst Du, Lana del Rey hätte mit Video Games einen solchen Erfolg gehabt, wenn es nicht auf Youtube abrufbar gewesen wäre?
Und auch Element of Crime profitiert von Youtube. Die meisten Videos mit Eurer Musik hat zwar das Label sperren lassen, aber es gibt einige Schnipsel aus einem Liveauftritt im NDR, die ich schon öfter als Beispiel für Eure Musik verschickt und verlinkt hab. Allein durch die systembedingt schlechtere Tonqualität bei Youtube habt Ihr durch diese Livevideos mehr CDs verkaufen können als wegen der Videos liegen geblieben sind. Das meint übrigens auch Fritz Effenberger, wenn auch mit deftigeren Worten als ich.
Tatsächlich habe ich seit 2007 so viel Musik gekauft nie nie zuvor. Seit 2007 bin ich Napster-Kunde mit Flatrate, und kann alle Alben und Songs ausgiebig probehören (wie ich es früher im Musikshop gemacht habe), um dann die guten als MP3 zu kaufen. Und von der Stereoanlage über das Handy bis zum Autoradio kann ich Deine Songs, die ich bei Napster gekauft habe, überall hören. Wie früher.
Und wenn Du mal das Gejammer der Labels über die Schäden durch Raubkopien mit den tatsächlichen und offiziellen Verkaufszahlen vergleichst, wirst Du Dir die Augen reiben. Der Zenith des CD-Verkaufs war 2001, es gab einen Einbruch 2003 und danach stagnierten die Zahlen bis 2010. Woran der Einbruch lag ist kaum nachzuvollziehen. Ich tippe drauf, dass mehrere Dinge zusammen kamen: Menschen, die wie ich den Kopierschutz ablehnten, die ersten legalen Kauf- und Downloadmöglichkeiten für DRM-geschützte Musik, und Menschen, die (wie ich wieder) auf neue, investitionssichere Techniken warteten.
Und tatsächlich: „Ur-Napster“, also eine der Gründungscommunities der „Raubkopieszene“, wurde ausgerechnet im Juli 2001 aus rechtlichen Gründen geschlossen. Hingegen begann 2003, also ungefähr zusammen mit dem deutlichen Rückgang der CD-Verkäufe, sukzessive der Regelbetrieb des von BMG gekauften, legalen Napster und parallel anderer Onlinemusikhändler.
Zum Beispiel iTunes. Und da ist auch der Einbruch der CD-Verkaufszahlen von 2009 auf 2010 geklärt: Seit 2008 verdoppelt sich die Zahl der neu verkauften iPhones jährlich. 2008 kam auch das erste Android Smartphone auf den Markt, im Dezember 2011 meldete Google, dass täglich 700.000 Android-Handies erstmals aktiviert werden. Und jetzt rate mal, auf welchen mobilen Geräten die meisten MP3 gehrt werden? Genau: Auf Handies. Hier entsteht offensichtlich ein unglaublicher Markt, den es zu erschließen gilt!
Sven, mit 10 Jahren Verspätung ist die Musikindustrie widerwillig in der digitalen Welt angekommen, und das auch nur durch die Geburtshilfe von ein paar visionären Menschen aus der Computerindustrie wie Steve Jobs.
Die sinkenden CD-Verkaufszahlen zeigen nicht, dass mehr raubkopiert wird, sondern, dass die Menschen bereit sind, für rechts- und investitionssichere digitale Musikdateien Geld auszugeben.
Dass vorher so viel unerlaubt kopiert wurde hat einen einfachen Grund: Wir wollten mit MP3 als Technologie die Party feiern und haben Euch eingeladen, aber Ihr seid nicht gekommen und die Labels haben mit dem Kopierschutz auf neuen Alben sogar ausdrücklich verboten, dass diese als MP3 abgespielt werden.
Gerade Ihr Indy-Musiker könntet vom Internet auch finanziell profitieren, wenn nicht Interessenträger wie die Majors oder auch die GEMA dagegen wären. Du bist, wie die meisten Musiker, Mitglied der GEMA.
Außerhalb des Netzes macht die GEMA den lokalen Szenekneipen schon lange das Leben schwer und mahnt Kindergärten ab, die den Kleinen Volksgut beibringen wollen. Das ist schon weltfremd genug und zeigt, dass das Urheberrecht inzwischen komplett schief gewickelt ist. Es schützt nicht den Künstler, also Dich, sondern nur sich selber als System.
Absurd ist es dann, wenn GEMA-Mitglieder, die ihre Songs im Internet anbieten, der GEMA Tantiemen zahlen müssen:

Wenn zum Beispiel eine Komponistin, die bei der GEMA gemeldet ist, ihre eigenen Stücke auf ihrer Homepage zum Herunterladen anbieten will, muss sie dafür ein Entgelt entrichten – 0,125 Euro pro Download (Stand Juni 2006). Das kann je nach Anzahl der Downloads viel Geld kosten. Seit Sommer 2006 bietet die GEMA zwar einen kostenlosen Tarif für die „Eigenpräsentation von GEMA-Mitgliedern“, allerdings nur für den Abruf als Stream, nicht als Download.
Quelle: Valie Djordjevic, Verwertungsgesellschaften – Im Dienste der Urheber

Du siehst, dass das Urheberrecht in der heutigen Form Urheber und Konsumenten benachteiligt. Bei den offiziellen Verhandlungen über Reformen werden wir aber ausgesperrt, die führen die Rechteverwerter mit der Politik.

Das ist der wirkliche Skandal.

Kategorien: Allgemein

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Trommelveit
11 Jahre zuvor

Hi,

kurz zum letzten Absatz: das Gebahren der GEMA bzgl. der Downloads, die von Künstler selbst kostenlos Angeboten werden (und auch die GEMA generell) hat prinzipiell rein gar nichts mit dem Urheberrecht zu tun. Sondern damit, dass der Urheber die GEMA mit der Wahrung seiner Verwertungs- bzw. Nutzungsrechte beauftragt. Die Auslegung der GEMA bzgl. o.g. Downloads ist halt selten dämlich, da hier der Urheber selbst quasi vom eigenem Inkassobüro abkassiert wird. 🙂

Und wenn ich schon beim Urheberrecht bin: in dieser aktuellen Debatte wird sehr oft davon gesprochen, dass ein anderes Urheberrecht benötigt wird. Da bin ich entschieden dagegen. In so ziemliche jeder Kontroversen, in der es um illegale Downloads u.ä. geht, geht es in aller erster Linie um die von der Platten- bzw. Filmindustrie verwendete Form der Nutzungsrechte. Ist ’ne ganz andere Baustelle. Zur Unterscheidung:
http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_Urheberrecht
http://de.wikipedia.org/wiki/Nutzungsrecht

Grüße,
de Veit

Hardy Loppmann
11 Jahre zuvor

Exzellenter Artikel, der die wesentlichen Punkte schön zusammenfasst. Vielen Dank dafür.

Hinzuzufügen bliebe noch, dass derzeit die Verlage (und dabei vor allem die deutschen) die Fehler der Musikindustrie mit zwanzigjähriger Verspätung 1:1 wiederholen, komplett inklusive drakonischer DRM-Maßnahmen, aufwendiger Registrations- und Autorisationsprozesse und (natürlich) Beklagen der angeblichen Gratismentalität im Netz, die in kürzer der Untergang sämtlicher Kultur sein wird. Dabei übersehen sie (absichtlich), dass gerade die Early-Adopters einer neuen Technologie (hier: E-Books) technisch versiert sind, deshalb genau wissen, was sie sich mit DRM-verplombten Dateien einhandeln (Stichwort: Investitionssicherheit) und diese aus genau diesem Grund meiden.

Die Verlage verhalten sich momentan wie ein Bäcker, der eine drei Meter hohe Mauer vor seine Ladentür stellt, die Brötchen zum Stückpreis von 10,- € anbietet und jeden, der an seinem Laden vorbeigeht, durchs Fenster als Banausen beschimpft. Und sich dann fragt, warum keiner reinkommt, um seine Ware zu kaufen. „An meinen Brötchen kanns nicht liegen“, denkt der Bäcker, „die sind super.“ Damit hat er vielleicht sogar recht, aber er verkennt, dass ein Kunde eine bestimmte Ware nicht unbedingt um jeden Preis haben will.

Ich frage mich, wieviele gedruckte Bücher noch verkauft würden, wenn man als Kund nicht einfach in eine Buchhandlung gehen, das Buch bezahlen und damit rausgehen könnte sondern erst gezwungen würde, Name und Adresse einmal ins Buch, dann in eine Liste beim Händler und dann nochmal auf eine Postkarte zu schreiben, die an ein drittes, am Buchkauf völlig unbeteiligtes Unternehmen geschickt würde. Und einem der Buchhändler, nachdem er einem das Buch mit Handschellen an den Arm gekettet hat, damit man es nicht weitergeben kann, erklärte, man würde jetzt nicht das Buch besitzen, sondern nur eine Leselizenz für Wohnzimmer und Küche, die im Schlafzimmer, in der Badewanne und im Bus leider nicht gültig ist. Und, oh ja, wenn man umzieht und die Wohnadresse nicht mehr mit der im Buch/auf der Händlerliste/Postkarte übereinstimmt, dann lässt sich das Buch nicht mehr aufklappen.

Aber leider sehe ich schwarz, was die Lernfähigkeit der Buchbranche angeht, denn der Börsenverein jubelt lieber allem zu, was ein bißchen danach aussieht, als sei es Feind des eigenen Feindes. Also ACTA, PIPA … und Sven Regener.

Trommelveit
11 Jahre zuvor

Hallo Volker,

ich glaub, wir sind da gar nicht weit auseinander, mir ging es nur um sprachliche Definition. Hätte im letzten Absatz deines Artikels gestanden, „dass das Urheberrechts[i]gesetz[/i] in der heutigen Form Urheber und Konsumenten benachteiligt“, wä ich gar nicht drauf angesprungen. 🙂

Zur GEMA:
Damit ein Musiker Geld durch einen beim Radio gespielten od. von Dritten öffentlich aufgeführten bekommt, ist es nicht notwendig, in die GEMA einzutreten. Es ist nur der bequemste Weg. Sonst kann man nämlich mit jeder Coverband oder jedem Radiosender einen eigenen Vertrag abschließen. Und hätte dann hunderte einzelverträge, so wie man sie Musiker, der seine Rechte nicht an eine Verwertungsgesellschaft abgetreten hat, Momentan schon mit Internetdiensten abschließen kann (siehe z.B. lastfm).
Allerdings wird dass sehr schnell sehr aufwendig, und die GEMA hat ja im Zweifellsfall dass bessere rechtliche Durchsetzunsvermögen, daher verlassen sich js so viele Musiker auf die GEMA. Die übrigens ist ja nach Vereinsrecht strukturiert. Das da vereinsinterne Regelungen, die den Mitgliedern schaden, die nächste Jahreshauptversammlung überleben, ist schon sehr verwunderlich.

Grüße,
de Veit