Martin Walsers Tod eines Kritikers hat schon vor Erscheinen für viel Wirbel gesorgt. Was ist dran an den Antisemitus-Vorwürfen? Und – ebenso wichtig – wie lesenswert ist Walsers neuester Roman?

„Aber da Ehrl-König mit Händen und Füßen und wild kreisendem Kopf und einer sich bis zum Überschlagen steigernden Stimme demonstrierte, wie er darunter gelitten habe, dieses Buch lesen zu müssen, war sie einfach mitgerissen worden, klatschte laut in die Hände, als er sagte, ob das denn kein Urteil sei, wenn einem ein Buch immer wieder aus den Händen rutsche, weil man bei seiner Lektüre eingeschlafen sei.“ (Martin Walser)

Faustregeln darüber, wie man schreiben soll, gibt es viele. Etliche widersprechen einander. Einigkeit herrscht nur in drei Aspekten: Sätze nicht zu lang, Adjektive und Adverbien nicht zu häufig und Wiederholungen nur, wo sie unumgänglich sind.
Kunst – und mithin auch Literatur – beansprucht, sich über Regeln hinwegsetzen zu dürfen. Martin Walser nimmt dieses Recht für sich in Anspruch. Sein Ich-Erzähler ist selbst Schriftsteller und befasst sich mit Mystik, Kabbala, Alchimie und Rosenkreuzertum. Übersteht man die siebenunddreißig Worte des ersten Satzes, wird man entschuldigend auf diesen Beruf des Ich-Erzählers hingewiesen:

„Ich muß das erwähnen, weil durch mein sonstiges Schreiben gefärbt sein kann, was ich mitteile über meinen Freund Hans Lach.“

In der Tat: Gefärbt ist seine Sprache, und Walser zieht das durch. Gnadenlos, aber immer an der Grenze des Erträglichen. Was den Roman sprachlich schwerer verdaulich macht als Not tut. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Rechtschreibreform an Walser vorbeigegangen zu sein scheint. Kuriose Konstruktionen verwirren. Wenn drei Männer in einem Raum sitzen ist Vorsicht bei der Verwendung des Personalpronomens er angebracht:

„Beamte sind viel fleißiger, als man denkt, sagte Hans Lach. Dann sagte er nichts mehr. Wenn der Beamte noch etwas gesagt hätte, hätte er sicher auch noch etwas gesagt.“

Moment – wer sagt gerade nichts zu wem?
Es wimmelt nur so von Hauptworten, die das Verb, das sie als Urahn besitzen, längst vergessen haben: Miteinanderreden, Nichtinfragekommen, Drandenkenmüssen oder, gleich im Doppelpack, Voreinandersitzen und Nichtssagen. Das gibt dem Text Statik. Die Bewegung fehlt und eine Lähmung erfasst die Leser, oder besser eine Gelähmtheit. Zudem ist es fast so lyrisch wie der Geschäftsbericht eines kommunalen Abfallentsorgers. Penibel buchhalterisch-bürokratisch beißt Walser sich an Details fest:

„Der Ermittler, hier der arme Meisele, werde zur Schreibkraft. Er, KHK Wedekind, vermute, daß Meisele naiv genug sei, ihm, Wedekind, einen Fall zu neiden, bei dem der wahrscheinliche Täter und das Opfer gleichermaßen prominent sind.“

Einen stilistischen Bruch hat der Text, wenn der Ich-Erzähler die Fernsehsendung wiedergibt, in der Ehrl-König das Buch des späteren Mordverdächtigen verreißt: Ein sich hineinsteigernder und sich im Applaus suhlender Kritiker mit zunehmendem Sprachfehler, brillant beobachtet und beschrieben. Doch dann penibelt Walser unbeirrt weiter.
Plakativ – um nicht zu sagen: oberflächlich – die Namen. Einen Professor Silberfuchs um eines kalauernnden Spitznamens willen zu erschaffen ist entschuldbar. Das Mordopfer aber heißt Andr� Ehrl-König. In seinen Armen der Witz war tot – möchte man zurückkalauern. Der Kommissar heißt übrigens Wedekind, was ihm aber auch nicht weiterhilft. Der Verdächtige heißt Lach, was im gar nicht seltenen Genitiv Verleser provoziert.

Zur Handlung

Die liegt leider unter den sprachlichen Unannehmlichkeiten verborgen. Ein Schriftsteller wird vom König der Kritiker in dessen TV-Show verrissen. Daraufhin droht der aufgebrachte Autor dem Kritiker. In derselben Nacht verschwindet letzterer, nur ein blutverschmierter Pullover wird am vermeintlichen Tatort aufgefunden. Der Nachbar des Verdächtigen fasst den Entschluss, die Unschuld Lachs nachzuweisen.
Soweit ist das Krimistoff, wie wir ihn kennen, ein klassischer Mord ohne Leiche und mit vage Indizien. Routinierte Krimiautoren könnten daraus eine spannende Geschichte machen. Auch ein Schlüsselroman wie dieser darf spannend sein.
Lach jedoch ist depressiv, verweigert die Aussage und äußert sich nur in verwirrten und verwirrenden Notizen über seine eigene Paranoia. Der Hobbydetektiv interviewt Personen, zieht Schlüsse daraus und kombiniert fleißig. Irgendwann gesteht Lach den Mord. Etwas später widerruft er ihn. Der Hobbydetektiv wundert sich über das Verhalten – was wiederum die Leser verwundert, weil Lach in einem seitenweise zitierten Roman genau einen solchen Täter entwirft.
Irgendwann ist die Geschichte zuende und man weiß fast soviel wie vorher, ist nur um einiges erschöpfter und steht vor einem Berg von Fragen: Seit wann hat ein Mordverdächtiger keinen Pflichtverteidiger? Sind Münchener per se depressiv und paranoid? Wie kann Ehrl-König eine deutsch-britische Doppelstaatsangehörigkeit haben?
Möglicherweise versteht der Ich-Erzähler die Welt nicht mehr, weil er sich zu viel mit Mystik, Kabbala, Alchimie und Rosenkreuzertum befasst hat. Vielleicht verstehen wir ihn nicht, weil wir uns zu wenig mit Mystik, Kabbala, Alchimie und Rosenkreuzertum befasst haben. Vielleicht ist es aber nur so, wie Walser besagten Professor Silberfuchs über ein anderes Buch des Tatverdächtigen urteilen lässt:

„Silbenfuchs habe Hans Lach ihn genannt, nachdem er, Professor Silberfuchs, den vorvorletzten Roman von Hans Lach in irgendeiner Konversation ein Werk von grandioser Selbstbehinderung genannt habe.“

Stichwort Antisemitismus

Nein, der Tod eines Kritikers ist nicht mehr oder weniger antisemitisch als andere Werke von Walser oder eine durchschnittliche Ausgabe der FAZ. Schirrmacher zitiert falsch und entstellend und das ihn.
Die Religionszugehörigkeit von Ehrl-König kommt nur an zwei Stellen zu Sprache: Als Lach droht, ab Mitternacht werde zurückgeschossen, sind die Zeugen dieser Szene bestürzt. Und zwar, weil einer meint, Ehrl-König habe jüdische Vorfahren.
Später kommt eine – nach seiner Friedenspreis-Rede typisch walsersche – Aussage:

„Das Thema war jetzt, daß Hans Lach einen Juden getötet hatte. Andr� Ehrl-König und Rainer Heiner Henkel hatten zwar Ehrl-Königs Herkunft nie als jüdische herausgestellt, aber jetzt wurde der jüdische Bankier König aus Nancy herbeschworen […].“

Das geht – so zumindest meine Ansicht – nicht gegen Angehörige der jüdischen Glaubensgemeinschaft, sondern mehr gegen die Medien, die einen solchen Tabubruch sofort ausschlachten:

„Wenn Ehrl-König ermordet worden wäre, weil er Jude gewesen sei, hätten die anderen Recht. Aber es sei ja noch nicht einmal sicher, ob Ehrl-König Jude gewesen sei. [..] Daß die Presse daraus immer wieder Tatsachen gemacht habe […] zeige den Geisteszustand der deutschen Gesinnungspresse.“

Vermutlich hätten nicht allzu viele Feuilletonisten hier antisemitische Töne des Autors herausgehört, hätte die FAZ das nicht souffliert. Interessanterweise erschien Schirrmachers Verriss mehrere Wochen nach Aushändigung des Manuskripts, aber nur wenige Tage vor einer Umbesetzung im SuhrkampVorstand – ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Fazit

Das Buch ist nicht richtig schlecht, aber lange nicht richtig gut. Beinahe lesenswert sind die Beschreibungen des Kritikers, man fühlt sich in die besten Tage des Literarischen Quartetts zurückversetzt und möchte laut loslachen. Aber für die paar Seiten lohnt sich der Kauf des Buches nicht.
Vielleicht hätte Walser den Ich-Erzähler besser in einer Geschichte über Mystik, Kabbala, Alchimie und Rosenkreuzertum untergebracht.

Tod eines Kritikers. Martin Walser
240 Seiten, Gebunden, EUR 19,90
Suhrkamp 2002
WRITING Business

Gesamtwertung:
eingeschränkt
lesenswert

29.06.2002

im Detail:
Inhalt 2
Sprache 1
Unterhaltung 1
Kategorien: Journalist