Im Moment nimmt Deutschland wieder viele Flüchtlinge auf. Es gibt ja auch reichlich Krisen- und Kriegsgebiete, in denen Menschen um ihr Leben bangen müssen. Fremdenfeindliche Reaktionen lassen selbstverständlich nicht lange auf sich warten.

Und diese Reaktionen sind ein wildes Sammelsurium von Vorurteilen, vermischt mit Ignoranz, Bildungsferne und fehlendem Grundwissen.

In einer Krefeld-Gruppe auf Facebook geht es beispielsweise gerade zur Sache. Flüchtlinge sollen in einem Schullandheim in Herongen untergebracht werden! Skandal! Unsere armen Kinder!!!111einself Hätte man nicht andere Räume finden können?

Komisch. Dass ausgerechnet dieses Schullandheim schon vor zwei Wochen durch die Zeitung ging, weil es kaum noch genutzt wird und ihm die Schließung droht, hat man wohl schon verdrängt.

Vielleicht sind die Flüchtlinge am Ende ja sogar die Rettung des Schullandheims? Unterbringung in leerstehenden städtischen Gebäuden ist jedenfalls keine Lösung – alleine die Umbaukosten und der Vorlauf hierfür wären nicht zu stemmen.

Denn man kann zwar als einzelner Mensch durchaus mal im Büro übernachten, aber um dort Menschen auf Dauer unterzubringen fehlt es einfach an sanitären Einrichtungen. Bürotoiletten mit Handwaschbecken sind halt weder Waschräume noch Duschen.

Dann kommt der große Topf, in den man alle wirft: Die Kosten für Asylbewerber seien in den letzten Jahren im ein Drittel gestiegen, Deutschland geht dadurch bankrott!

Tatsächlich sagt das Statistische Bundesamt:

In Deutsch­land nahmen 2013 rund 225 000 Personen Regel­leistungen nach dem Asyl­bewerber­leistungs­gesetz in Anspruch. Im Ver­gleich zum Vor­jahr entsprach dies einem Plus von rund 36 %.

Aber wie hoch sind die Kosten nun in Euro?

Laut Statistischem Bundesamt zahlte Deutschland im Jahr 2011 insgesamt 908 Millionen Euro für Asylbewerber

Was man hier bei Fakten gegen Vorurteile lesen kann, ist die amtliche Zahl der Gesamtkosten. Also nicht nur die Regelleistungen, sondern auch alle mit Asylverfahren etc. verbundenen Sach- und Personalkosten. Bei 80 Millionen Menschen, die in Deutschland leben, kamen 2011 keine 12€ zusammen. 12€ pro Kopf und Jahr. Ok, es sind heute etwas mehr, aber noch lange keine 20€ pro Kopf.

Menschen, die sich über die immensen Kosten aufregen, die die deutsche Asylpolitik mit sich bringt, regen sich für weniger als 20€ pro Jahr auf.

Ernsthaft? Seid Ihr noch ganz dicht? Fragt den Bund der Steuerzahler mal nach echter Geldverschwendung.

Aber – haltet Euch fest – der eigentliche Punkt ist nämlich: Die Flüchtlinge, um die es aktuell geht, sind gar keine Asylbewerber. Vielleicht werden sie mal welche, das hängt aber in jedem Einzelfall von etlichen Bedingungen ab. Im Moment sind sie erstmal geflüchtet, um zu überleben. Haben alles zurück gelassen, müssen damit rechnen, dass ihr Hab und Gut daheim gerade in diesem Moment niedergebombt oder geplündert wird.

Sie haben nur ihr nacktes Leben gerettet.

Das hatten wir in zwei Weltkriegen auch: Menschen, die geflüchtet sind, nicht, um einen fremden Staat zu zu schröpfen, sondern um zu überleben.

„Aber Deutsche sind immer nur innerhalb von Deutschland geflüchtet!“

Das kommt davon, wenn man mit allen Nachbarländern im Streit liegt. Könnte man sagen. Aber ein homogenes Deutschland in ungefähr der heutigen Form gab es vor 1871 gar nicht. Und dann kamen auch gleich die Weltkriege, und wer dieses Argument benutzt, meint in der Regel den 2. Weltkrieg.

Im 2. Weltkrieg flüchteten tatsächlich viele Deutsche ins Ausland:

Insgesamt gelang von 1933 bis 1945 mehr als 250.000 Juden die Flucht aus Deutschland.
[…]
Die meisten Juden flohen in die USA (132.000 Menschen) und nach Palästina (60.000 Menschen). Innerhalb Europas war Großbritannien das häufigste Fluchtziel. Viele deutsche Juden flohen auch in die Niederlande und nach Lateinamerika. Manche nahmen den weiten Weg in die chinesische Stadt Shanghai auf sich.

„Ja-ha, Juden, die sind geflohen“.

Eben. Deutsche Juden. Deutsche. Wie Deutsche Protestanten oder Deutsche Atheisten. Deutsche. Wer also behauptet, dass Deutsche im Krieg nie ins Ausland geflohen sind, spricht den Opfern der Judenverfolgung im 3. Reich ab, Deutsche gewesen zu sein.

Merkt Ihr selber, ja?

1185020_458514377581997_667806932_nWährend die bisherigen Argumente davon zeugen, dass sie nicht gerade von den hellsten Kerzen auf der Torte stammen, ist dieses grafische Unding, das alle Nasen lang auftaucht, aber ganz besonders wertvoll.

Was stimmt mit Menschen nicht, die den Unterschied zwischen Flüchtlingen und Einwanderern nicht erkennen können? Oder wollen sie es einfach nicht, um jemanden zu haben, auf den sie einschlagen können? Der Schuld ist? Auf den sie ihre Unzulänglichkeit externalisieren können?

Echt jetzt: Es geht bei Flüchtlingen um Menschen, die dem Tode entkommen sind. Wenn sie nach ihrer Ankunft in Deutschland ihr weniges Geld bei EDEKA ausgeben und nicht 300m weiter zu ALDI gehen, dann nehmt sie an die Hand.

Sie sind fremd hier. Sie kennen unsere Geschäfte nicht, sie kennen von den Marken, die bei uns verkauft werden, nur die internationalen Marken. Geht auf sie zu und bietet ihnen Unterstützung an und plötzlich seht ihr: Das sind Menschen wie Du und ich. Nur, dass es ihnen dreckig geht, weil sie gerade alles verloren haben, und nicht wissen, was die Zukunft ihnen bringt.

An Mitgefühl ist noch niemand gestorben. Nur am Mangel daran.

 

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[…] Die Nachrichten sind voll von Flüchtlingen und in Deutschland haben wieder verblüffend viele etwas gegen Asylanten, dabei werden gerne auch wirtschaftliche Argumente aufgeführt. Wir haben ja nix! Flüchtlinge und Asylanten sind allerdings nicht unbedingt gleichbedeutend. Da gehen die Themen eher wild durcheinander und wenn man dann noch den Begriff Wirtschaftsflüchtling dazu nennt, wird jede Diskussion sofort sinnlos, weil jeder etwas anderes meint. Da ist es Zeit, ein wenig Klarheit zu schaffen. Klarheit bei den Begriffen, Klarheit bei ein paar Zahlen. Das macht hier z.B. Volker König. […]

[…] Die Nachrichten sind voll von Flüchtlingen und in Deutschland haben wieder verblüffend viele etwas gegen Asylanten, dabei werden gerne auch wirtschaftliche Argumente aufgeführt. Wir haben ja nix! Flüchtlinge und Asylanten sind allerdings nicht unbedingt gleichbedeutend. Da gehen die Themen eher wild durcheinander und wenn man dann noch den Begriff Wirtschaftsflüchtling dazu nennt, wird jede Diskussion sofort sinnlos, weil jeder etwas anderes meint. Da ist es Zeit, ein wenig Klarheit zu schaffen. Klarheit bei den Begriffen, Klarheit bei ein paar Zahlen. Das macht hier z.B. Volker König. […]

Okeo
9 Jahre zuvor

Sehr guter Text. Danke dafür.
Was ich interessant fand war, dass Sie sich scheuten „ca. 1 Milliarde Euro“ zu schreiben, sondern lieber
„Bei 80 Millionen Menschen, die in Deutschland leben, kamen 2011 keine 12€ zusammen“
Warum denn nicht ausschreiben, dass es durch „heute etwas mehr, aber noch lange keine 20€ pro Kopf“ wohl jetzt 1,5 Mrd Euro sind?
Denn die Aussage muss doch sein: wir wollen das bezahlen. Wenn auch nicht alle, so doch viele. Und was aus dem großen Geldtopf bezahlt wird, muss nicht immer nur eine Mehrheit wollen. Manchmal reicht eben auch eine Minderheit. Dafür gibt es ja auch viele andere Beispiele (z.B. im Sport)

Und zum vorletzten Absatz noch ein Hinweis: nicht alle Flüchtlinge auf die wir treffen werden, sind nette Menschen. Manche werden ziemliche Widerlinge sein, aber das kennen wir von unseren anderen Mitmenschen ja auch und können damit leben.

9 Jahre zuvor

Über die derzeitige Situation in Deutschland bin ich nicht so gut informiert, bei uns in Österreich tut sich aber zurzeit in punkto Asylpolitik auch so einiges. Durch die Überlastungen der Erstaufnahmezentren werden seit 2011 die Bundesländer mithilfe der Quotenregelung vermehrt zur Verantwortung gezogen. Viele Gemeinden schufen und sorgen für Unterkünfte für die Asylwerber. Zurzeit wird darüber diskutiert, Kasernen zu Unterkünften umzuwandeln.
Mit den Begrifflichkeiten muss man in der Tat sehr aufpassen.
Jeder Migrant, der um Asyl ansucht wird in der Zeit der Prüfung ob Flüchtling oder nicht als „Asylwerber“ bezeichnet.
Als Flüchtling bezeichnet man nur Menschen, die aufgrund von Gefahr (Verfolgung, Krieg, etc.) ihr Land verlassen müssen.
Wir sollten diesen Menschen ganz eindeutig mehr Toleranz und Respekt entgegenbringen, und sie nicht wie Aussätzige behandeln!

9 Jahre zuvor

Du sprichst mir aus der Seele, guter Artikel!

Seit April läuft übrigens mein Projekt „Formulare verstehbar machen“ zu Gunsten von Flüchtlingen und Migranten – Spenden und tätige Hilfe sind stets willkommen:

https://www.betterplace.org/de/projects/16145-formulare-verstehbar-machen-ein-ubersetzungsprojekt

[…] Es handelt sich in allen Fällen um Menschen, die alles verloren haben. Die geflüchtet sind, um ihr Leben zu retten. Ich hatte darüber schon vor einiger Zeit geschrieben. […]