Gina-Lisa Lohfink steht vor Gericht. Sie ist der falschen Verdächtigung beschuldigt worden. Die Frage ist heute in Berlin eine ganz andere als die, ob sie vergewaltigt wurde oder nicht.

Die Frage geht viel weiter. Es spielt heute gar keine Rolle, ob die fraglichen Videos sie beim einvernehmlichen Sex zeigen und ihr „Nein“ sich lediglich auf die Aufnahme bezieht, oder, wie sie später vorbrachte, eben auf die Handlungen an sich.

Bei Sexualdelikten, die nicht zufällig in der Öffentlichkeit stattfanden, ist normalerweise das größte Problem, den Tathergang objektiv und beweisbar zu rekonstruieren. Im Fall Kachelmann gelang das der Staatsanwaltschaft nicht, was nicht bedeutet, dass keine Tat stattgefunden hat, sondern nur, dass keine bewiesen werden konnte.

Und das ist das Problem bei den meisten Sexualdelikten: Beweise sind häufig nur Aussagen der Opfer, die regelmäßig im völligen Gegensatz zu denen der Beschuldigten stehen, Indizien, ärztliche Gutachten über Verletzungen, die vom Gericht bewertet und beurteilt werden. Hier existieren aber sogar Videos des Geschehens.

Dazu führen Strafverfahren wegen Vergewaltigung und Sexualdelikten, egal, wie sie ausgehen, immer auch zu Schäden bei vermeintlichen Tätern und vemuteten Opfern, und das um so mehr, wenn wenigstens eine der Parteien prominent ist. Nicht nur der Fall Andreas Türck zeigt das.

Der Fall Gina-Lisa Lohfink geht noch einen Schritt weiter damit, Schaden anzurichten. Das fragliche Video wurde ohne ihre Erlaubnis ins Netz gestellt und ist inwzischen nicht mehr zu löschen, weil es zu verbreitet ist. Das ist der erste Schaden.

Dagegen hat sie sich zumindest strafrechtlich gewehrt und die Täter wurden verurteilt.

Ich selber kenne das Video nicht und beziehe mich auf die in mehreren Medien wiedergegebene und nie widersprochene Aussage Lohfinks Anwalt, dass niemand, der das gesamte Video gesehen hat (und nicht nur die Schnipsel im Netz) ernsthaft glauben kann, dass es sich um einvernehmlichen Sex handelt.

Vor diesem Hintergrund ist der Ablauf zunächst glaubwürdig, dass sie sich erst nach Ansicht des gesamten Videos bewusst wurde, dass sie einen Filmriss hatte und in der Nacht gegen ihren Willen Sex hatte. Das also, was man strafrechtlich als Vergewaltigung bezeichnet.

Es ist jetzt erst einmal ihr Recht, deshalb erneut Anzeige zu erstatten. Was sie auch tat.

In der Beurteilung kann sie nun durchaus Fehler machen:

  • Ist das, was passiert ist, wirklich juristisch gesehen eine Vergewaltigung? Es gibt einige Schutzlücken.
  • Warum hatte sie den Filmriss und wirkt auf Teilen des Videos wie weggetreten? Waren es Alkohol und Drogen, die sie vorsätzlich konsumierte, oder gar K.O.-Tropfen oder andere untergeschobene Substanzen?
  • Erinnert sie sich nach Abspielen des kompletten Videos überhaupt richtig an das, was passiert ist, oder greifen hier Schutzmechanismen ihrer Psyche?

Es gibt vermutlich noch mehr Fehler, die ihr unterlaufen können, die aber dazu führen, dass sie subjektiv der Überzeugung ist, vergewaltigt worden zu sein. Zudem ist ein solches Strafverfahren für sie, die von der Selbstvermarktung lebt, keine gute PR. Dass sie durch die Vergewaltigungsvorwürfe nicht nur in Social Media mit übelstem Victim Blaming überzogen wurde und wird war vorhersehbar.

Schon beim Prozess wegen der unerlaubten Veröffentlichung, wurde sie von Zuschauern bis auf die Toilette verfolgt und beschimpft. Sie hat also im Bewusstsein, dass sie sich dadurch zum Ziel von Angriffen macht, Anzeige erstattet. Auch das legt nahe, dass sie keine Zweifel daran hat, dass sie vergewaltigt wurde.

Der $164 StGB sagt nun:

Wer einen anderen […] wider besseres Wissen einer rechtswidrigen Tat […] in der Absicht verdächtigt, ein behördliches Verfahren […] gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Sie hat in der Tat Menschen einer rechtswidrigen Tat verdächtigt, um ein behördliches Verfahren herbeizuführen. Die einzige Frage, die vo Gericht zu beantworten ist: War es wider besseres Wissen?

Alleine die reine Möglichkeit der von mir genannten Irrtümer reichen meiner Meinung nach aus, um den Vorsatz, also das „bessere Wissen“, nach dem Grundsatz in dubio pro reo auszuschließen.

Und das ist aus einem ganz besonderen Grund auch wichtig und die einzige Lösung: Die Dunkelziffer bei Sexualdelikten liegt bei 95%. Nur 5% derjenigen, die objektiv glauben, Opfer eines Sexualdeliktes zu sein, zeigen dieses an, weil auch die Opfer Schaden nehmen, wenn sie vor Gericht die Tat quasi nochmal durcharbeiten müssen. Weil Victim Blaming vorkommt. Weil die Beweislage oft nur dünn ist und eine Verurteilung so gut wie nie sicher ist.

Wenn dann noch das ernsthafte Risiko besteht, bei Nichtverurteilung des vermeintlichen Täters selber bestraft zu werden, ist das inakzeptabel.

Sicher gibt es Fälle, in denen die Vergewaltigung nur behauptet wurde und der §164 StGB „passt“. Aber auch in diesen Fällen gilt der Artikel 103 des Grundgesetzes: Keine Strafe ohne Gesetz. Das schreibt vor, dass Strafgesetze eben nicht analog oder weit ausgelegt werden dürfen sondern so eng, dass die Strafbarkeit einer Handlung zweifelsfrei vorhersehbar ist.

Denn genau diese enge Auslegung des Sexualstrafrechts führt ja zur oft geleugneten Schutzlücke, und dazu, dass oft nicht ohne ernsthafte Zweifel nachgewiesen werden kann, dass eine Vergewaltigung stattgefunden hat.

Und genau deshalb ist heute völlig irrelevant, ob Gina-Lisa Lohfink vergewaltigt wurde oder ob sie sich irrt. Es geht nur um die eine Frage, ob ohne ernsthafte Zweifel bewiesen werden kann, dass sie wissentlich jemanden falsch verdächtigt hat.

Kategorien: Allgemein

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Eberhard
7 Jahre zuvor

Ich wurde kürzlich auch des sog „Victim blaming“ beschuldigt. Na und?

„Du Opfer“ ist nicht umsonst ein beliebter Vorwurf in der Jugendsprache. Weil es sich nicht gehört, Opfer zu werden.